Die wilden Wiesen der Kindheit kann man nicht vergessen. Überblendet, schwarzweiß, von kuriosen Figuren belebt, erscheinen sie dem Erwachsenen bis tief in den Schlaf. Die »Autogeographie« ist ein Traumprotokoll, eine animierte Landkarte von Orten wie Einfeld, Tungendorf, Orschel-Hagen, Pillnitz, Dorstfeld. Wo? Und warum? Allerweltsorte bauen sich auf als Kulissen, als Phantasmagorie des Erzählers - im einen Moment Miniatur, im anderen Moment ein Erdrutsch. In der Idylle der Großelternstadt verbergen sich Voyeure und Exhibitionisten. Das Kind, auf dem holsteinischen Geestrücken gewiegt, erkennt als Jugendlicher an einem thüringischen Küchentisch das Urbild der Heimat. Der Junge, Deutschland entkommen, entdeckt bei seinen amerikanischen Gastgebern die Fratze puritanischer Vergeblichkeit. Der junge Erwachsene begegnet geistig Behinderten und ihren zynischen Betreuern, eine Grenzerfahrung. Die Skizze der Orte, lakonisch begonnen, bringt schließlich alles zur Sprache: Furcht und Trieb, Hochmut und Schicksal, Slackertum und Bildungshunger. Dahinter zeigt sich der historische Horizont: die deutsche Teilung, das Drama der Flucht, das Auftauchen der Baader-Meinhof-Gruppe, die Ära der Jesuspeople. Dieses Buch ist eine groteske Beichte in zehn Kapiteln, das Protokoll der Provinz als Schrittmacher der Geschichte.
Die Stadt Neumünster wird im März 2009 mit der Aktion »Eine Stadt liest ein Buch« U. E. Zieglers »Wilde Wiesen« an Originalschauplätzen lesen.
»Ulf Erdmann Ziegler gewinnt Autorität durch Atmosphäre und Situation, Arrangement und Verfremdung. Auch als Stilist ist er in jeder Abstufung genau. Selbst einen ereignislosen Alltag vermag er als interessante Geschichte zu erzählen, nichts wird mit einer zuströmenden Bedeutsamkeit belastet. Allerdings hält Ziegler auch immer Pointen bereit, die mehr sind als Klingelstreiche und Knallfrösche. Wer so mit dem Eigenen und Fremden umzugehen versteht, ist ein vollendeter Erzähler, der über seine Generation weit hinaus wirkt.« ((Jürgen Verdofsky, Frankfurter Rundschau, 13.12.2007))
»Was prägt uns: das Große, Einmalige oder das Durchschnittliche, Alltägliche? Die literarische Bewältigung von Lebensstoff wird nie ganz ohne große Gesten und ein wenig Flunkerei auskommen; dennoch wird man auf die Frage instinktiv die zweite Antwort geben - aus eigener Erfahrung wissend, dass es gerade Autoren von Rang sind, die auch mit dem Durchschnittlichen, Alltäglichen etwas anfangen können. (...) Die elegant-lakonische Ironie, die wunderbare Figurenzeichnung verraten eine ganz und gar außergewöhnliche Ich- und Weltwahrnehmung (...). In diesen Notizen aus der Provinz hat die alte Bundesrepublik einen neuen Erzähler gefunden.« ((Edo Reents, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.2007))